Nach sieben Jahren löst das Nikon AF-S Nikkor 2,8/70-200 mm E FL ED VR das bekannte Modell ab. In dieses sieben Jahren hat die Technik einige Schritte nach vorn gemacht. Ist das in der Praxis zu bemerken?
Zooms mit einem Brennweitenbereich von 70-200 mm sind Klassiker, die in vielen Ausrüstungen den Telebereich abdecken. Es gibt sie als leichtere und erschwinglichere Varianten mit einer durchgehenden Lichtstärke von 1:4, die vielen Fotografen gut reichen. Und es gibt sie mit einer durchgehenden Lichtstärke von 1:2,8, die mit einem größeren Tubus, mehr Gewicht und nicht zuletzt einem höheren Preis bezahlt werden muss.
Auf die Frage, ob die eine Blendenstufe mehr nötig ist, muss jeder Interessent eine eigene Antwort finden. Auf der einen Seite kann man angesichts des Rauschverhaltens aktueller Kameras sagen, dass man beim 1:4 die eine Blende weniger kompensiert, indem man die Empfindlichkeit eine Stufe höher einstellt. Auf der anderen Seite kommt man beim 1:2,8 mit der um eine Stufe größeren Anfangsöffnung immer mit der Hälfte des Lichtes aus, kann also immer ein bisschen länger mit available light fotografieren oder man kann immer eine schmalere Schärfenzone erzielen.
Zu der Gruppe der lichtstärkeren (fast) 3x-Telezooms gehört das neue Nikon AF-S Nikkor 2,8/70-200 mm E FL ED VR.
Die Bezeichnung kann für Verwirrung sorgen. Nicht so sehr die Abkürzungen als solche.
- AF-S – Ultraschall AF-Motor
- E – Elektromagnetisch gesteuerte Blende
- FL – Fluoritlinsen, die bei mindestens gleicher optischer Leistung von Glaslinsen das Gewicht reduzieren sollen
- ED – Linsen aus besonderem Glas (Extra Low Dispersion), das hilft, die chromatische Aberration zu korrigieren
- VR – Vibration Reduction, die Nikon-Variante des Bildstabilisators.
Zur Verwirrung kann aber führen, dass das Vorgängermodell, das nach nunmehr 7 Jahren abgelöst wird, die Bezeichnung „VR II“ trug, das neue Zoom aber nicht als „VR III“ gekennzeichnet ist.
Äußeres und Handhabung
Das Zoom ist mit einer Länge von 203 mm ab Auflage (ohne Streulichtblende), einem Durchmesser von 89 mm und einem Gewicht von 1430 g weder klein noch leicht, aber es passt sehr gut zur Nikon D610, mit der es getestet wurde, und die Handhabung ist problemfrei. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass es an anderen, ähnlich großen Gehäusen anders sein könnte.
Es werden Filter mit 77 mm Durchmesser gebraucht. Die sind leider nicht ganz günstig in der Anschaffung, aber für ein Objektiv dieses Klasse sind 77 mm Filterdurchmesser angemessen.
Der äußere Tubus besteht zu großen Teilen aus Kunststoff, macht aber auf jeden Fall einen sehr soliden Eindruck.
Das Objektiv ist mit mehreren Dichtungen versehen, die das Eindringen von Staub und Feuchtigkeit verhindern sollen.
Zum Lieferumfang gehört eine Vier-Segment-Streulichtblende.
Hinten am Objektiv ist ein drehbar gelagerter Stativring mit abnehmbarem Fuß angebracht. Im Fuß sind zwei Stativgewinde versenkt. Wenn man den Fuß abnimmt, steht das Stativgewinde des Stativrings zur Verfügung. Leider ist der Fuß nicht von sich aus kompatibel zum Arca Swiss System. Anregung an Nikon: Einen Arca Swiss-kompatiblen Fuß als Zubehör anbieten.
Bei Freihandaufnahmen liegt der Fuß des Stativrings satt in der linken Hand. Dabei stellt sich heraus, dass die neue Anordnung von Zoom- und Fokussierring eine gute Sache ist.
Anders als beim Vorgängermodell liegt der Fokussierring nämlich ein wenig hinter der Mitte des Tubus, der Zoomring dagegen in der vorderen Hälfte. Die Wahl der passenden Brennweite ist dadurch sehr bequem möglich. Gleichzeitig wird das Zoom vorne unterstützt und jede Frontlastigkeit aufgefangen.
Zur schnellen und exakten Wahl des Bildausschnitts trägt auch bei, dass der Zoomring sich geschmeidig drehen lässt.
Wer eine Bildserie mit einer bestimmten Brennweite machen möchte, kann sich an den Werten orientieren, die auf dem Ring aufgetragen sind: 70 – 85- 105 – 135 – 200, also die „klassischen“ kurzen und mittleren Telebrennweiten.
Auch der Fokussierring lässt sich, wenn man ihn wirklich einmal braucht, mit einer guten Mischung aus Leichtgängigkeit und Widerstand drehen. Mit einer Drehung um 180° gelangt man von ∞ bis zur geringsten Einstellentfernung von 1,1 m. Unter einem kleinen Fenster dahinter dreht sich die Entfernungsskala.
Weder beim Zoomen noch beim Fokussieren ändert sich die Länge des Objektivs . Auch die Orientierung der Frontfassung bleibt gleich, was den Einsatz von Polarisations- und Verlaufsfiltern einfach macht.
Der größte Abbildungsmaßstab liegt bei ca. 1:4,7. Das ist etwas weniger, als etliche 3x-Telezoom-Klassiker in der 1970er Jahren erreichten (ca. 1:4).
Links vom Fenster findet man die Schaltzentrale des Zooms – vier Schiebeschalter.
- Am obersten Schalter wählt man, ob manuell fokussiert werden soll und wie weit man im AF-Betrieb den Fokussierring drehen muss, um die Schärfenautomatik zu überstimmen.
- Am zweiten Schalter wählt man den Fokussierbereich für die Automatik. „Full“ steht für ∞ bis zur kürzesten Einstellentfernung von 1,1 m. Die zweite Einstellung begrenzt den Bereich auf ∞ bis 5m. Eine Nahbereichsvorwahl (etwa 5 m bis 1,1 m) wäre manchmal wünschenswert, fehlt aber.
- Schalter drei dient dazu, die Arbeitsweise des Stabilisators zu wählen. „Normal“ stabilisiert im Prinzip alle Bewegungen der Kamera, soll aber bei Schwenks die horizontale Bewegung aus der Korrektur ausklammern. Im Modus „Sport“ sind kontinuierliche Schwenks (Mitziehen), aber auch abrupte Bewegungen möglich, bei denen vertikale Bewegungen der Kamera ausgeglichen werden. Wer auf Nummer sicher gehen will, kann bei Stativaufnahmen den Stabilisator auch ausschalten. In den Praxistests gab es allerdings keine Probleme bei Stativaufnahmen mit aktivem Stabilisator.
- Der vierte Schalter schließlich bestimmt, wie die vier Knöpfe genutzt werden, die zwischen dem Zoom- und dem Fokussierring im Abstand von 90° angeordnet sind. Zur Wahl stehen die Aktivierung der AF-Funktion (AF-ON) und die Schärfenspeicherung (AF-L). Außerdem lassen sich die Knöpfe deaktivieren. Wer es sich angewöhnt hat, den Autofokus unabhängig von der Belichtungsmessung mit der AF-ON Taste am Kameragehäuse zu starten, wird diese vier Knöpfe bald sehr zu schätzen wissen, denn sie sind bequemer zu erreichen.
Autofokus
Auch wenn der gesamte Fokussierbereich von ∞ bis 1,1 m durchfahren werden muss, um die Scharfstellung durchzuführen, geht das sehr schnell, was natürlich auch vom AF-System der Kamera abhängig ist. Dank des Ultraschallmotors ist von der Scharfstellung auch praktisch nichts zu hören.
Stabilistor
Der Stabilisator des 70-200 mm arbeitet sehr effektiv. Ich konnte bei 200 mm Brennweite unverwackelte Aufnahmen mit 1/15 Sek., teils auch mit 1/10 Sek. erzielen. Wenn man in den Grenzbereich des Stabilisators kommt, gilt auch beim Nikon Zoom, dass es hilfreich ist, die Serienbildschaltung zu aktivieren.
Abbildungsleistung
Das Zoom ist aus 22 Linsen in 8 Gruppen aufgebaut. Darunter sind eine Linse aus Fluorit- und acht Linsen aus ED-Glas.
Schärfe und Kontrast sind in der Bildmitte bei allen Brennweiten und Blenden hervorragend. Es gibt nur einen geringen Leistungsabfall zu den Ecken, der aber schon durch Abblenden um eine Stufe verringert wird und bei einer Vielzahl von Motiven nicht zu erkennen ist. Auch bei kritischen Motiven ist die Abbildungsleistung bei allen Brennweiten bei Blende 5,6 über das ganze Bildfeld hervorragend. Bei genauem Hinsehen fallen die kleinsten Blenden 16 und 22 etwas hinter Blende 11 zurück, aber wenn es einmal sein muss können sie in der Praxis bedenkenlos genutzt werden.
Vignettierung spielt nur einmal eine Rolle, und zwar bei ganz offener Blende und 200 mm Brennweite. Abblenden auf 4 beseitigt das Problem praktisch ganz. Bei allen anderen Brennweiten kann allenfalls in den äußersten Ecken eine Abdunklung festgestellt werden, wenn das Motiv das zulässt.
Die Verzeichnung kann ebenfalls vernachlässigt werden.
Die Farbsäume der chromatischen Aberration sind, wenn überhaupt, sehr schwach ausgeprägt in Aufnahmen zu sehen, die mit ganz offener Blende entstanden.
Auch Reflexe und Überstrahlungen sind nichts, worüber man sich Gedanken machen muss. Sollte man sie doch einmal im Sucher entdecken, genügt oft eine kleine Änderung der Kamerahaltung, um sie aus dem Bild zu verbannen.
Bokeh Das Objektiv ist mit einer Blende ausgestattet, die aus 9 Lamellen aufgebaut ist und ein nahezu rundes Blendenloch freigibt, eine der Voraussetzungen für das angenehme Bokeh. Das mag für ein Telezoom nicht so wichtig erscheinen – aber das 70-200 kann ja u. a. auch als 2,8/85 mm eingesetzt werden und als Porträt-Tele dienen.
Alles in allem
gehört das Nikon AF-S Nikkor 2,8/70-200 mm E FL ED VR zu den aktuellen Top-Objektiven – aber leider auch zu denen, die das Budget für die Kameraausrüstung sehr strapazieren. Die unverbindliche Preisempfehlung liegt bei stolzen 3179,- €. Aber wenn ein lichtstarkes 70-200 mm für eine Nikon DSLR gekauft werden soll, ist man bei diesem Zoom definitiv richtig.
GUT – SEHR GUT – HERVORRAGEND – HERVORRAGEND PLUS – HERVORRAGEND DOPPEL-PLUS
Text (c) Herbert Kaspar
Bilder (c) Herbert Kaspar
Grafiken (c) Nikon
Interessiert am Nikon AF-S Nikkor 2,8/70-200 mm E FL ED VR?
Das Objektiv kann hier für 2799,- € bestellt werden. (Stand 10. Januar 2017)
Praxisbilder (an Nikon D610)
Hinweis: Ein Klick auf ein Beispielsbild bringt es in der vollen Größe von 6016 x 4016 Pixel auf Ihren Bildschirm.
Alle Bilder sind JPEGs aus der Kamera. Bei einigen Bildern wurde eine Tonwertkorrektur angewendet.
Beachten Sie bitte, dass die Bildqualität, besonders die Farbwiedergabe, auch von den Einstellungen Ihres Monitors abhängt!
Alle Praxisbilder (c) Herbert Kaspar
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