Bestimmte Objektivtypen werden gern mit bestimmten Motivbereichen in Verbindung gebracht. Weitwinkel? Ab in die Landschaft oder zur Architektur! Tele? Braucht man für Sport, Action, Mode, Tiere! Aber es geht auch anders. Schauen wir heute mal auf die kurzen Brennweiten.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Mit kurzen Brennweiten lassen sich Landschaften grandios ins Bild setzen, große Fassaden und enge Innenräume beherrschen. Gegen diese Nutzung ist auch gar nichts einzuwenden – aber man muss die Sache ja nicht so verbissen sehen.
Im Zusammenhang mit Objektiven, deren Brennweite bei rund 35 mm [@KB] oder darunter liegt, hieß und heißt es immer wieder: Nicht für Porträts verwenden, allenfalls für Halbfigur- oder natürlich für Gruppenaufnahmen. Aber was passiert, wenn man es doch tut?
Wenn man mit einem Weitwinkel sehr nah an das Hauptmotiv herangeht, kommt es sehr groß ins Bild, während Objekte im Hintergrund, auch wenn sie gar nicht viel weiter weg sind, sehr klein wiedergegeben werden („Weitwinkelperspektive“). Das kann beim Porträt z. B. dazu führen, dass die Nase übermächtig ins Bild kommt oder, wenn sie aus Obersicht mit erfasst werden, Arme und Beine wie unbedeutende Anhängsel wirken. Man kann das für Effektaufnahmen nutzen, die immer für ein Schmunzeln gut sind.
Dass Weitwinkel aus kurzer Entfernung nicht nur das Hauptmotiv groß ins Bild bringen, sondern dazu recht viel vom Hintergrund zeigen, ist aber für eine ernsthaftere Bildgestaltung ebenfalls nutzbar. Mit solchen Aufnahmen kann man die Person, um die es geht, angemessen groß ins Bild holen und gleichzeitig ihren Wohnraum oder Arbeitsplatz zeigen …
… oder bei Reisen die Landschaft mit dem Porträt verbinden.
Dabei hilft es, den übertriebenen Weitwinkeleffekt zu vermeiden, wenn das Modell nicht direkt ins Objektiv schaut, wenn man die etwas zu großen Hände stimmig mit in die Bildkomposition einbezieht …
oder wenn man durch die Kombination von moderatem Weitwinkel und gut gewähltem Bildausschnitt die verräterischen Körperteile (zu klein abgebildete Ohren, Hände oder Füße) aus dem Bild drängt.
Der Weitwinkeleffekt macht sich natürlich immer stärker bemerkbar, je kürzer die Brennweite wird. 35 mm [@KB] machen Bilder möglich, die noch sehr natürlich wirken, 24 mm [@KB] und weniger erfordern bereits eine genaue Kontrolle des Bildes im Sucher oder auf dem Monitor.
Der Einsatz von kurzen Brennweiten (24 mm [@KB] und weniger) bringt auch noch eine weitere Porträt-Variante ins Spiel: Das Porträt mit im Sinne des Wortes handgemachtem Vordergrund. Das kann der optimistisch hoch gereckte Daumen sein, aber auch eine geballte Faust.
Auch einer fast surrealen Bildstimmung kann die Kombination aus Porträt und Landschaft, eingefangen mit einem Weitwinkelobjektiv aus kurzer Entfernung zum Modell zuträglich sein.
Wie immer gilt natürlich: Alles Mögliche ausprobieren! Löschen kann man immer noch (und sollte man dann auch, wenn ein einem ein Bild nicht gefällt).
Mit dem Bildwinkel wird auch der Messwinkel des Belichtungsmessers größer. Die Mehrfeldmessung kann ausreichen, um den Hintergrund richtig zu bewerten. Die Spotmessung auf das Gesicht ist bei einem Mitteleuropäer, der nicht zu braungebrannt ist,eine gute Wahl – macht es aber nötig, auf die Wiedergabe des Hintergrundes zu achten. Bringt die Zeit/Blenden-Kombination, die für das Gesicht passt, den Hintergrund dunkler ins Bild, ist das in den meisten Fällen in Ordnung und auch eine leichte Überbelichtung kann akzeptiert werden. Frisst der Hintergrund dagegen aus, wirkt das jedoch unschön und es empfiehlt sich, das Gesicht mit einer Lampe oder einem Reflektor aufzuhellen. Soll ein Blitz als Aufheller eingesetzt werden, ist ein Diffusor oder indirektes Blitzen über einen Reflektor Pflicht.
Aufmacherbild (c) Fasphotographic | Dreamstime.com
Text (c) Herbert Kaspar
[…] Einen Beitrag über den Einsatz von Weitwinkelobjektiven über die Landschafts- und Architekturfotografie hinaus finden Sie hier. […]