Insgesamt bietet Canon drei Makroobjektive mit dem RF-Bajonett an. Hier geht es um das Canon RF 100 mm F2,8 L Macro IS USM.
Als Canon zur photokina 2018 mit der Canon EOS R (endlich auch) in den Sektor der spiegellosen Systemkamneras einstieg, gehörte ein Makroobjektiv zum Erstangebot. Das RF 35 mm F1,8 IS STM Macro war aber für viele Freunde der Nah- und Makrofotografie wegen der kurzen Brennweite und vor allem wegen des größten Abbildungsmaßstabes von 1:2 nicht das Makroobjektiv, das sie sich im RF-Programm wünschten.
Erst im letzten Jahr wurde das von vielen lange erwartete 100-mm-Makro im RF-Programm vorgestellt – das Canon RF 100 mm F2,8 L Macro IS USM, das mit zwei Besonderheiten für die Wartezeit entschädigt.
Auch andere 100-mm- oder 105-mm-Makroobjektive sind lang, aber mit 148 mm übertrumpft das Canon RF 100 mm Macro sogar das Nikon Nikkor Z MC 105 mm 1:2,8 VR S, das 140 mm lang ist. Und das Gewicht von 730 g liegt noch 15 g über dem Sigma 105 mm 1:2,8 DG DN Macro.
Trotzdem bildet das Objektiv sowohl mit der eher zierlichen EOS R wie auch mit der großen EOS R3 sehr handliche Aufnahmeeinheiten.
Weil gerade von Abmessungen die Rede ist: das 100er Macro hat einen Durchmesser von 82 mm und wenn die runde Streulichtblende angesetzt ist, ragt es 194 mm vor das Bajonett. Es werden 67-mm-Filter gebraucht.
Der gegen Staub und Spritzwasser abgedichtete Tubus ist geradlinig aufgebaut.
Ganz vorn ist der fein strukturierte Einstellring untergebracht, den man im Kameramenü als Blendenring, Zeitenring, ISO-Einstellring oder Einstellring für Belichtungskorrekturfaktoren konfigurieren kann. Für mich ist Blendenring immer eine gute Wahl.
Dahinter liegt der breite Fokussierring. Je nach Vorliebe kann man im Menü festlegen, ob die Geschwindigkeit, mit der man den Ring dreht und die Entfernungseinstellung ändert, oder der Drehwinkel für präziseres Arbeiten Vorrang haben soll. In jedem Fall läuft der Ring geschmeidig.
In den meisten Fällen wird man allerdings den Autofokus nutzen und das Zusammenspiel der AF-Systeme von EOS R und EOS R3 mit dem Objektiv lief perfekt. Der Motor, der auch fürs manuelle Fokussieren gebraucht wird, arbeitet praktisch unhörbar und sehr schnell.
Ob manuell oder automatisch fokussiert wird: Die Länge des Objektivs (und damit auch die Balance der Aufnahmeeinheit) ändert sich dabei nicht.
Der Wechsel zwischen AF und MF erfolgt an einem Schalter hinten links am Tubus.
Gleich daneben liegt der Schalter, mit dem man den Fokussierbereich bestimmen kann: 26 cm bis unendlich, 50 cm bis unendlich und 26 cm bis 50 cm.
Aus der kürzeste Einstellentfernung von 26 cm erreicht man, und das ist eine der beiden Besonderheiten dieses Makroobjektivs, einen größten Abbildungsmaßstab von 1,4:1 – also eine Vergrößerung des Objekts.
Die kleinste Fläche, die formatfüllend aufgenommen werden kann, ist rund 25 x 17 mm groß. Dabei liegen nur noch ca. 85 mm zwischen Frontfassung und Objekt bzw. ca. 35 mm zwischen Vorderkante der Streulichtblende und Objekt.
Beim Fokussieren in den Nahbereich lässt die Lichtstärke nach. Kommt eine Fläche aus 2 m Abstand mit Blende 2,8 und 1/15 in Bild, sind es aus 26 cm Abstand Blende 2,8 und 1/4 Sek. – die Lichtstärke beträgt jetzt nur noch 1:5,6. Für die Belichtung spielt es keine Rolle – der TTL-Belichtungsmesser berücksichtigt das.
Am dritten Schalter hinten links schaltet man den Stabilisator an und aus. Wenn er aktiv ist, arbeitet er mit dem Stabilisator in der Kamera zusammen.
Dieses Zusammenspiel ist im Bereich der größeren Abstände zum Motiv effektiv. Allerdings waren Werte von 8 Zeitenstufen jenseits der Freihandgrenze mit der EOS R3 für mich nicht realisierbar. Bei 1/4 Sek. und nicht so oft bei 1/2 Sek. konnte ich aber unverwackelte Aufnahmen aus der freien Hand machen.
Im Nahbereich nimmt die Effektivität ab. Aus rund 30 cm Entfernung war an der EOS R3 bei 1/30 Sek. und seltener bei 1/15 Sek. Schluss.
Diese Werte gelten für mich, wer eine ruhigere Hand hat, kommt wohl weiter über die Freihandgrenze hinweg.
Aber auch, wenn man eine sehr ruhige Hand hat, sind ein (kleines) Stativ oder eine Reprosäule keine überflüssigen Anschaffungen.
Bleibt die Frage nach der zweiten Besonderheit des RF 100 mm F2,8 L Macro IS USM.
Hier kommt der dritte Einstellring ins Spiel, der hinter dem Fokussierring liegt und sich im Bereich von -4 bis +4 verstellen lässt. In der Mittelposition rastet er leicht ein, um diese Mittelposition zu markieren – sehr leicht, und man kann ihn schnell mal ungewollt verdrehen (siehe Bild).
Um das zu verhindern, kann man den Ring mit einem Lock-Schalter arretieren.
Mit diesem Ring bringt man die sphärische Aberration gezielt ins Bild. Für scharfe Bilder wurde dieser Abbildungsfehler bei der Objektivrechnung zwar eliminiert – aber er kann „reaktiviert“ werden und dafür sorgen, dass man das Bokeh gezielt steuern kann. Gerade bei Porträts, für die sich ein 100-mm-Objektiv natürlich anbietet, oder bei Naturaufnahmen ist das eine grandiose Sache.
Minus-Werte bringen Motivteile vor der Schärfenebene schärfer ins Bild, die dahinter weicher. Umgekehrt sorgen Plus-Werte für weichere Motivteile vor der Schärfenebene und mehr Schärfe dahinter.
Da der Effekt von der Entfernung und der Blende abhängt, kann/muss man viel pröbeln, bis man das Bild so auf dem Speicherkärtchen hat, wie man es gerne haben möchte.
Dabei fällt dann auf, dass sich der Abbildungsmaßstab verändert und die Plus-Positionen das Motiiv größer ins Bild bringen.
Wenn man auf Unschärfen verzichten möchte, lässt man den Ring (bezeichnet mit SA Control) in der Mittelstellung und profitiert dann vom Leistungsvermögen des Objektivaufbaus aus 17 Elementen in 13 Gruppen.
Die Ergebnisse lassen praktisch nichts zu wünschen übrig,
Die Schärfe ist im ganzen Fokussierbereich in der Mitte hervorragend von Blende 2,8 bis 8 und lässt zu Blende 11 hin nur wenig nach.
Die Schärfe am Bildrand ist bei Blende 2,8 und 11 nah an den Werten der Bildmitte – mit bloßem Auge und Praxismotiven ist das Nachlassen zu den Ecken nicht zu bemerken. Bei den Blenden dazwischen kann der Unterschied zwischen Mitte und Ecken eher sichtbar werden, wenn man plane Vorlagen fotografiert.
Sehr gleichmäßig übers Bildfeld ist die Schärfe bei den kleinen Blenden 16, 22 und 32. Hier schlägt aber die Beugung zu und die Werte liegen unterhalb derer, mit mit größeren Blenden erzielt werden.
Die chromatische Aberration ist hervorragend auskorrigiert. Wenn überhaupt, treten Farbsäume in den Bildecken in Erscheinung.
Verzeichnung spielt keine, und Vignettierung nur eine sehr geringe keine Rolle bei ganz offener Blende und gleichmäßig hellen Hintergründen (die Korrekturmöglichkeiten der Kamera wurden bei den Testaufnahmen ausgenutzt).
Mit Gegenlicht kommt das Objektiv sehr gut klar.
Alles in allem ist das Canon RF 100 mm F2,8 L Macro IS USM ein wirklich hervorragendes Makroobjektiv mit zwei Pluspunkten gegenüber herkömmlichen Objektiven dieser Klasse: Der größte Abbildungsmaßstab beträgt 1,4:1 und mit dem SA-Control-Ring lässt sich das Bokeh sehr fein steuern. Wermutstropfen: Aktuell (KW 9/2022) werden für das Objektiv laut www.idealo.de um die 1540 € verlangt. Wer auf die etwas längere Brennweite und die Pluspunkte verzichten kann und mit einem größten Abbildungsmaßstab von 1:2 zurechtkommt, findet im RF 85 mm F2 Macro IS STM ein sehr gutes Objektiv, das ebenfalls als Porträttele eingesetzt werden kann und mit um die 670 € (www.idealo.de / KW 9/2022) deutlich günstiger ist.
BEWERTUNG CANON RF 100 MM F2,8 L MACRO IS USM
GUT – SEHR GUT – HERVORRAGEND – HERVORRAGEND PLUS – HERVORRAGEND DOPPEL PLUS
Text und Bilder © Herbert Kaspar
PRAXISBILDER
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OBJEKTIV CANON RF 100 MM F2,8 L IS USM
KAMERA CANON EOS R
OBJEKTIV CANON RF 100 MM F2,8 L IS USM
KAMERA CANON EOS R3