Aktuell umfasst die Serie der Zeiss Milvus Objektive zehn MF-Festbrennweiten (mit Preisen zwischen 1299,- € und 2699,- €). Das neueste ist mit dem Zeiss Milvus Distagon 1,4/35 mm T* ein Standardweitwinkel, nachdem zuletzt u. a. zwei Superweitwinkel mit 15 mm und 18 mm Brennweite vorgestellt worden waren. Das 35er schauen wir uns nun näher an.
Seit 2014 werden bei Zeiss neue Objektive nach Vögeln benannt. Es begann mit „Touit“, einem Waldpapagei, die Waldohreule steht Pate für die „Otus“-Serie, und die „Milvus“-Objektive verdanken ihren Namen dem Milan.
Diese Wahl der Namen kann auch als Verbeugung vor Paul Rudolph und Ernst Wandersleb verstanden werden. Rudolph rechnete 1902 den Tessar-Typ (Triplet aus 4 Linsen in 3 Gruppen), Wandersleb verhalf ihm 1907 zu einer hohen Lichtstärke (bis 1:3,5). Diese Objektive wurden als „Adleraugen“ weltberühmt
Wer noch überlegt, ob das 35er ein neues Objektiv sei: Ja. Das 1,4er ist neu. Das Objektiv, an das man bei Nennung des Namens und der Brennweite auch denken kann, ist das Milvus Distagon 2/35 mm T*.
Zwischen den beiden 35-mm-Objektiven liegen nur eine Blendenstufe und eine Preisdifferenz von 800 €. Ob man den Aufpreis bezahlen möchte, sollte zunächst einmal eine Frage des Budgets, und wenn s reicht, muss man überlegen, wie das Objektiv eingesetzt werden soll. Wer oft bei sehr schlechten Lichtverhältnissen fotografiert und/oder oft die schmalere Schärfenzone braucht, wird das 1,4er vorziehen – auch, weil weder Canon und Nikon DSLRs, für die es angeboten wird, einen ins Gehäuse integrierten Stabilisator aufweisen, noch das Objektiv. Und da freut man sich über jede kürzere Verschlusszeit, die man erzielen kann, ohne den ISO-Wert erhöhen zu müssen. (Dass ein 1,4er Objektiv eher den Haben-wollen-Reflex auslöst, als eines mit Lichtstärke 1:2, soll nicht unerwähnt bleiben.)
Das Milvus Distagon 1,4/35 mm T* kam in der ZF.2-Ausführung, also mit Nikon-Bajonett, in die Redaktion und wurde an einer Nikon D610 eingesetzt. Die erwähnte Ausführung für Canon heißt ZE.
Wie die anderen Milvus-Objektive auch kann das 1,4/35 mm nur manuell scharfgestellt werden Über die Kontakte im Bajonett kann aber die Blende gesteuert werden, sodass die Arbeit mit Programm-, Zeit- oder Blendenautomatik problemlos möglich ist.
Der Blendenring des Objektivs muss dafür auf Blende 16 eingestellt werden, wo er verriegelt werden kann. Die Blende wird dann am entsprechenden Einstellrad der Kamera eingestellt. Obwohl ich sehr für die Arbeit mit einem Blendenring bin, finde ich die Blendeneinstellung an der Kamera in diesem Fall gut. Der Blendenring sitzt ganz hinten am Objektiv, wo es den geringsten Durchmesser aufweist, und da er sehr schmal ist, lässt er sich nicht besonders gut anfassen.
Gleich davor wird das Objektiv dicker. Der Durchmesser liegt bis auf die letzten Millimeter hinter der Frontfassung bei 83 mm. Dann erweitert er sich in einem sanften Schwung auf 86 mm. Ein „innerer Tubus“ ragt ab hier 8 mm nach vorn. Er durchmisst 78 mm und nimmt Filter mit einem Durchmesser von 72 mm auf.
Die Vier-Segment-Streulichtblende nimmt wie bei den anderen Milvus-Objektiven mit kürzeren Brennweiten auch, den Schwung des äußeen Tubus auf, erreicht einen Durchmesser von 92 mm, und wenn sie montiert ist, bilden sie und das Objektiv eine sehr elegante Einheit.
Sowohl der Objektivtubus wie auch die Streulichtblende sind aus Metall gefertigt, wodurch das Objektiv sehr stabil und wertig wirkt – und ein Gewicht von 1100 g in der Nikon-Ausführung erreicht. Front- und Rückdeckel bringen zusammen weitere 28 g auf die Waage.
Der Tubus ist gegen das Eindringen von Staub und Spritzwasser geschützt.
Am Fokussierring sind die Einstellungen für 0,3 m, 0,35 m, 0,4 m, 0,7 m 1 m, 1,5 m, 3 m, 5 m und ∞ aufgebracht, auf dem Tubus dahinter eine Schärfenzonenskala mit Markierungen für alle Blenden von 2,8 bis zur kleinsten Blende 16.
30 cm als Naheinstellgrenze – das ist eine feine Sache. Allerdings bleiben von den 30 cm nur 14 cm als Arbeitsabstand zwischen Vorderkante des Objektivs und dem Motiv – und wenn die Streulichtblende angesetzt ist, was ja immer der Fall sein sollte, bleiben zwischen ihrer Vorderkante und dem Objekt nur noch 10 cm, was zu Problemen bei der Ausleuchtung des Motivs führen kann.
Der Fokussierring ist mit einer unstrukturierten Oberfläche versehen. Das Material (mattschwarzer Gummi) bietet aber sehr guten Grip. Mit einer Drehung um rund 230° durchfährt man den Bereich von Unendlich bis zur Naheinstellgrenze von 30 cm, wobei 180° auf den Bereich von 3 m bis 30 cm entfallen. Der große Drehwinkel und der geschmeidige Lauf des Rings machen sehr komfortables und sicheres Einstellen möglich.
Der Sucher der Nikon D610 ist zwar sehr schön groß (Vergrößerung 0,7x), aber die Motivdetails, die man mit einem 35er und 64,2° Bildwinkel hier zu sehen bekommt, sind es meist leider nicht. Daher ist manchmal nicht einfach, im Sucher zwischen scharf und unscharf zu unterscheiden., aber in den meisten Fällen kommt man schnell und sicher zum Ziel.
Zudem hilft das AF-System der Nikon D610 weiter, indem im Sucher angezeigt wird, wann die Scharfstellung erreicht ist.
Auch bei Aufnahmen mit Blende 1,4 gleicht die schon recht große Schärfenzone (z. B. rund 65 cm bei 3 m Entfernung) kleinere Einstellfehler aus.
Oft kann man auch ganz aufs Fokussieren verzichten, in dem man die gute alte Schnappschusseinstellung nutzt. Bei Blende 8 und Einstellung auf 6 m wird alles zwischen rund 3 m und ∞ scharf ins Bild gebracht, bei Blende 5,6 erfasst die Schärfenzone alles zwischen rund 3,5 cm und 30 m, was für Street-Fotografie ausreichend ist (Die Zahlen wurden auf www.dofmaster.com berechnet.)
Das geht natürlich genauso auch mit anderen Objektiven und 35 mm Brennweite an Vollformatkameras und ähnlich mit anderen Objektiven an APS-Kameras. Das bedeutet, das entsprechende Fixfokusobjektive, die damit werben immer alles scharf abzubilden im Grunde überflüssig sind, aber das ist eine andere Geschichte.
Bei Aufnahmen aus geringeren Entfernungen und mit größeren Blenden wurde die Nikon aufs Stativ gestellt und Live-View mit Monitorlupe aktiviert, um die Schärfe genau auf ein Motivdetail abzustimmen. Bei Blende 2 und 1 m Abstand hat die Schärfenzone gerade noch Ausdehnung von rund 9 cm.
Für wen ist ein 35er? Für alle, die gern natürlich wirkende Aufnahmen mit einem etwas größeren Bildwinkel machen möchten, als ein 50er zu bieten hat. 35-mm-Objektive sind festbrennweitige Allrounder, mit denen einer Vielzahl von Situationen gewachsen ist – vor allem, wenn die Naheinstellgrenze bei 30 cm liegt und ein Abbildungsmaßstab von 1:4,6 erreicht werden kann.
Das Objektiv ist aus 14 Linsen in 11 Gruppen aufgebaut. Fünf der Linsen bestehen aus Sonderglas, eine wartet mit einer asphärischen Oberflächen auf.
Abbildungsleistung
Schon bei ganz offener Blende erzielt das Objektiv in der Bildmitte sehr gute Werte bei Auflösungsvermögen und Kontrast, die aber zu den Ecken hin bei entsprechenden Motiven erkennbar abfallen. Bei Blende 2 und 2,8 ist das Objektiv in der Mitte hervorragend, und die Bildecken werden bei jedem Abblenden besser. Bei Blende 4 bis 8 präsentiert sich der 35er in Höchstform und es gibt keinen Unterschied zwischen Mitte und Ecken. Auch bei Blende 11 und 16 ist die Leistung gleichmäßig zwischen Mitte und Ecken, lässt aber gegenüber Blende 5,6 nach. Blende 16 ist mit sehr guten bis guten Werten alltagstauglich.
Objektive mit kurzen Brennweiten neigen zur tonnenförmigen Verzeichnung. Auch das Milvus 1,4/35 mm macht keine Ausnahme. Die Durchbiegung gerader Linien am Bildrand fällt aber gering aus und kann bei Architekturaufnahmen gegebenenfalls leicht korrigiert werden.
Vignettierung spielt ab Blende 2,8 nur noch eine untergeordnete Rolle, ab Blende 4 gar keine mehr. Bei Blende 1,4 können – etwa bei Aufnahmen mit einem schönen blauen Himmel dunkle Bildränder und -ecken auffallen. Aber schon ein paar Wolken genügen, um den störenden Effekt weitgehend aufzuheben. An den Bildrändern ist praktisch nichts zu sehen.
Die typischen Farbsäume der chromatischen Aberration fallen auch bei Bildern mit kontrastreichen Kanten in der Bildmitte nicht auf, können jedoch in den Ecken sehr schmal auftreten – werden aber wohl nur von „Pixelpeepern“ entdeckt.
Gegenlicht ist für das Objektiv kein Problem, auch dann nicht, wenn eine helle Lichtquelle nah am Bildrand oder knapp außerhalb des Bildfeldes angeordnet ist.
Alles in allem
verdient sich das Zeiss Milvus Distagon 1,4/35 mm T* die Note hervorragend+ durch seine Kombination aus Abbildungsleistung und Fertigungsqualität. Dem steht jedoch ein Preis von 1999,- € (UVP) gegenüber – sehr heftig, wenn man bedenkt, dass z. B. das Sigma 1,4/35 mm |Art bei vergleichbar hoher Leistung das Konto mit „nur“ 1049,- € (UVP, Straßenpreis im Juli 2017 unter 800,- €) belastet und einen sehr schnellen, sicheren Autofokus bietet.
GUT – SEHR GUT – HERVORRAGEND – HERVORRAGEND PLUS – HERVORRAGEND DOPPEL PLUS
Text (c) Herbert Kaspar
Produktabbildungen (c) Herbert Kaspar
Grafik (c) Carl Zeiss
Praxisbilder mit dem Zeiss Milvus Distagon 1,4/35 mm T* an der Nikon D610
Alle Bilder sind JPEGs aus der Kamera.
Ein Klick auf eines der Bilder bringt es in der vollen Größe von 6016 x 4016 Pixeln auf Ihren Bildschirm.
Beachten Sie bitte, dass die Bildqualität, besonders die Farbwiedergabe, auch von den Einstellungen Ihres Monitors abhängt!
Alle Bilder (c) Herbert Kaspar
Die technischen Daten
Objektiv Zeiss Milvus Distagon 1,4/35 mm T*
Bildwinkel diagonal 64,2°
Bildwinkel an APS entspricht etwa 53 mm [@KB]
Vollformattauglich ja
Blenden 1,4 … 16
Linsen / Gruppen 14 / 11
Nahgrenze ca. 30 cm
Max. Abbildungsmaßstab ca. 1:4,6
Bildstabilisator nein
Maße (L / D) ca. 125 mm (Canon), ca. 126 mm (Nikon) / ca. 85 mm
Gewicht ca. 1180 g (Canon), ca. 1130 g (Nikon)
Filtergewinde 72 mm
Staub- und Tropfwasserschutz ja
Anschluss Canon EF, Nikon AF