Noch bis zum 17. Mai ist im Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg eine sehr schöne und interessante Fotoausstellung zu sehen: Alfred Ehrhardt – Das Watt. Das hat mich angeregt, mich diesem Thema auch einmal intensiver zu widmen.
Im Oldenburger Schloss zeigt das Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg rund 80 Fotografien des Fotografen Alfred Ehrhardt (1901–1984) aus seiner Serie „Das Watt“. Die Fotografien entstanden in den Jahren 1933 bis 1936 bei ausgedehnten Wanderungen im Watt zwischen den Inseln Neuwerk und Scharhörn. Eberhardt war zuvor durch die Nationalsozialisten von der Landeskunstschule Hamburg entlassen worden. Er lebte zu diesem Zeitpunkt in Cuxhaven, dort hatte er eine Stelle als Organist übernommen. Auf seinen Wanderungen entdeckte er die Schönheit des norddeutschen Wattenmeeres. In den Strukturen der von Wind und Gezeiten geformten Landschaft erkannte er, dass er mit Fotografie und Film seine vorherige künstlerische Arbeit weiterführen konnte, ohne mit der Doktrin des NS-Regimes in Konflikt zu geraten.
Erhardt verfolgte mit seinen Fotografien konsequent die Strömung des Neuen Sehens. Er setzte abstrakt wirkende Landschaftsaufnahmen kompositorisch in Szene. Die sich rhythmisch verändernde Landschaft diente ihm als Basis für seine Experimente mit Struktur und Ornamentik. Erhardt betonte die Oberflächenbeschaffenheit der Natur mit hartem Licht. Geometrie und Rhythmus spiegeln nicht nur die Dynamik des norddeutschen Wattenmeeres wider, sie bilden auch den Kontrast zwischen weicher Harmonie und stringenter Linienführung.
Siehe auch: Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg
Inspiriert von dieser Ausstellung bin ich an einem sonnigen Tag an die Weser gegangen. Der Zeitpunkt war perfekt. Nach tagelangem, norddeutschen Schmuddelwetter zeigte sich endlich mal wieder die Sonne. Mit voranschreitender Ebbe zog sich das Wasser immer mehr zurück und der Strom gab am Elsflether Sand große Sandbänke frei. Die vom Hochwasser im Sand geformten Strukturen wurden vom hartem Sonnenlicht auf wunderbare Weise heraus modelliert. Ich brauchte sie mit meiner Kamera nur einsammeln. Dabei musste ich an die Bilder von Alfred Ehrhardt denken und versuchte seine Sehweise nachzueifern. Gar nicht so leicht – das “Neue Sehen”” … Aber ich aktivierte den Kreativ-Filter “Monochrom” an meiner Olympus OMD E-M10 und sah die Strukturen auf gänzlich neue Weise.
Es ist sehr lehrreich, wenn man sich mit großen Künstlern und dessen Arbeiten beschäftigt. Über deren Lebenslauf und ihre Motivation, sich mit bestimmten Dingen künstlerisch auseinander zu setzen, erlangt man nach und nach ein besseres Kunstverständnis. Automatisch beginnt man die Kunstströmungen, in der Kunstwerke entstanden sind, zu betrachten und setzt sie mit dem Zeitgeist der jeweiligen Epoche in Bezug. Dabei werden Moderichtungen, gesellschaftliche Bildsprache und dessen Wandel in der Zeit greifbar.
Will man nun selber bewusst diese Dinge in seine eigenen Tätigkeiten einfließen lassen, so sollte man nicht versuchen zu kopieren. Sicher ist die Erstellung eines Plagiats ein guter Anfang. Doch wenn man merkt, dass eigene Sehweisen beginnen sich durchzusetzen, so sollte man ihnen Raum geben. Vergangene und gegenwärtige große Künstler machten und machen es nicht anders. Sie interpretieren im Grunde immer die gleichen Dinge, die Menschen schon seit den ersten Höhlenmalereien beschäftigen. Der Unterschied besteht nur in der Zeit. Also der Weiterentwickelung des menschlichen Seins. Bei einer künstlerischen Arbeit ist es wichtig, gewisse Rahmenbedingungen einzuhalten. Das kann zum Beispiel eine strenge geometrische Gestaltung, die Verwendung bestimmter Werkzeuge oder ähnliche oder ganz andere Dinge sein. Über einen längeren Zeitraum formt sich dann eine bestimmte Aussage. Sie ist mitunter nicht gleich zu erfassen, denn der gegenwärtige Zeitgeist ist unsichtbar. Er formt sich auf ähnliche Weise heraus und ist erst später greifbar. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Intuition eine große Rolle spielt. Wenn ich merke, dass mich zum Beispiel Gesichter, die ich in Rippelwellen im Sand erkenne, von meinem eigentlichen Vorhaben ablenken, dann verlasse ich ein Stück weit meinen Weg und folge einer spontanen Eingebung.
Alle Fotos und Text: © Kai Kinghorst
Man geht über die “Wattgesichter” immer so belanglos hinweg. Aber es sind ja richtig interessante Aufnahmen dabei. Und die Ausstellung wird sicherlich auch sehr spannend sein.