Fotografieren bei Sonnenauf- und -untergang
Jeder hat schon Sonnenauf- und -untergänge fotografiert. Aber um diese Ereignisse gut ins Bild zu setzen, reicht es nicht, einfach nur draufzuhalten …
„Wenn das Licht sich aus dem Dunkel hebt,
Alles Leben ihm entgegen bebt,
Klingt, wie von verborgenen Zaubersaiten,
Hell ein Klang durch alle Welt und Weiten.“
Aus „Sonnenaufgang“ von Gustav Falke, deutscher Dichter, 1853 – 1916
Diese Zeilen umschreiben sehr schön die Emotionen, die vermutlich viele Menschen beim Anblick eines Sonnenaufgangs haben. Es liegt wohl an den wunderbaren Farben, die die tief stehende Sonne nur für sehr kurze Zeit über die Welt legt.
Aus meinen Erfahrungen hat man nur rund zehn Minuten Zeit (siehe Helligkeitscharakteristik unten), um diese Stimmung fotografisch einzufangen. Davor ist die Sonne nicht zu sehen und danach ist sie für den Dynamikumfang der meisten Kameras schon zu hell. Für den Sonnenuntergang gilt es umgekehrt. Diese Stimmung auf ein Foto zu bannen, bedarf daher etwas Planung.
Panasonic Lumix DMC-G2, 112 mm [@KB], ISO 200, 1:8, 1/200 Sek.
Auf der Weserinsel Harriersand steht das Unterfeuer des “Großen Pater” (Richtfeuerlinie für die Schifffahrt) mitten in der Landschaft. Ich hatte im Vorfeld recherchiert, dass die Sonne in den ersten Novembertagen, von einem gut zu erreichenden Standpunkt aus, hinter dem Turm aufgehen müsse. Dass sie genau zwischen dem Leuchtfeuer und einer Baumgruppe aufging war glücklicher Zufall.
Von ihrem Wesen ist die Fotografie subjektiv und mehrdeutig. Die Bildaussage eines Landschaftsfotos, das zum Hauptinhalt einen Sonnenauf- oder -untergang hat, liegt auf der Hand und kann nur mit wenig Spielraum für Interpretation betrachtet werden. Insofern dürfen wir gerne mit dem Begriff Kitsch hantieren. Wie auch bei dem aus der Mode gekommenen röhrenden Hirsch in einem Bergpanorama, bei Engelsfiguren jedweder Art oder beim berühmten Gartenzwerg. Trotzdem gibt es gute Gründe, sich an diesen eindeutigen Symbolen zu erfreuen. Sie sind nicht nur massenkompatibel, sondern lösen schlichtweg starke Emotionen aus.
Kernaussage eines solchen Bildes ist die Weite einer Landschaft. Das können Kulturlandschaften oder auch Stadtlandschaften sein. In den meisten Fällen lösen diese Art Bilder beim Betrachter Gefühle von Freiheit, Nichtbegrenztsein und Losgelöstsein aus. Ein Horizont symbolisiert die beginnende Unendlichkeit (hinterm Horizont …), aber auch die Markierung eines fernen Ziels oder der Grenzüberschreitung.
Panasonic Lumix DMC-G2, 50 mm [@KB], ISO 100, 1:8, 1/250 Sek.
Dunstwolken vom warmen Sommertag schwächen das Licht der noch recht hochstehenden Sonne ab. Durch die Ebenenstaffelung von Vorder-, Mittel- und Hintergrund wird die Tiefe der Landschaft deutlich. Die Bildelemente Sonne, Baum und Felsenfestung bilden eine flache Dreieckskomposition und verbinden die Ebenen miteinander.
Farbkombinationen von Rot, Orange und Gelb rahmen die Bildelemente Horizont und Sonne ein. Diese Farben stehen für Wärme und Hitze und im übertragenem Sinn für Liebe und Leidenschaft. Leidenschaft bildet sich durch Verschmelzung und Grenzüberschreiten aus und dazu gehören unweigerlich Hingabe und Ergeben. Insofern spielen alle typischen Symbole eines Sonnenauf- oder -untergangsbildes zusammen und geben dem Betrachter mehr oder weniger das Gefühl von Verbundenheit und über sich hinauswachsen. Mal ehrlich – gibt es etwas Schöneres?
Olympus E-520, 140 mm [@KB], ISO 100, 1:8, 1/180 Sek.
Die Silhouetten der Werftkräne und des Schiffs erzählen von der Arbeit. In diesem Fall der Ruhe symbolisieren sie im Zusammenspiel mit der untergehenden Sonne den Feierabend. Wer kennt diese Gefühl nicht?
Ein pures Sonnenauf- oder -untergangsbild hat farblich sicher seinen Reiz. Besonders, wenn Wolkenfetzen am Horizont treiben, die das Licht in pastelligen Farbabstufungen widerspiegeln. Besser ist es aber, wenn ein klares Motiv vorhanden ist, das von der Lichtstimmung umspielt wird. Solche Motive kann man zufällig entdecken oder geplant komponieren.
Panasonic Lumix DMC-G2, 84 mm [@KB], ISO 100, 1:8, 1/500 Sek.
Ganz zufällig entstand dieses Bild auf meinem Weg zur Arbeit. Die Perspektive und der Durchblick in die Landschaft war mir als Motiv zwar bekannt. Dass ich aber genau darin die Sonne an einem dunstigen Morgen mit den Kühen auf der Wiese erwischen würde, hätte ich mir nicht erträumt.
Für die Planung ist es wichtig, ein gutes Motiv entdeckt zu haben sowie den Sonnenstand und die richtige Zeit zu kennen. Ein paar Hilfsprogramme findet man im Internet (siehe Liste unten). Es ist ratsam, mindestens eine halbe Stunde früher vor Ort zu sein. Dann bleibt genügend Zeit den geeigneten Standort und den entsprechenden Bildaufbau zu finden. Die Kamera auf ein Stativ gepflanzt, Live-View und wenn vorhanden Gitterhilfslinien werdenaktiviert, dann klappt es mit einem überlegten und geordneten Bildaufbau. Dabei ist auf die Anordnung der im Bildausschnitt befindlichen Objekte, Führungslinien und Ebenen zu achten. Ein besonders hoher Kamerastandpunkt dehnt den Mittelgrund und schafft eine große Tiefe. Bodennahe Perspektiven stauchen den Mittelgrund und ziehen Vorder- und Hintergrund zusammen.
Panasonic Lumix DMC-G2, 18 mm [@KB], ISO 100, 1:6,3, 1/125 Sek.
Eine möglichst hohe Perspektive macht Vordergrund und Himmel gleichwertig und betont die Tiefe der Stadtlandschaft über die konvergierenden Linien. Die Sonne hinter dem Gebäude platziert schmälert den Dynamikumfang, so dass Vorder- und Mittelgrund gut durchgezeichnet wird.
Panasonic Lumix DMC-G2, 20 mm [@KB], ISO 100, 1:11, 1/20 Sek., Grauverlauffilter ND 0,9
Die extrem flache Perspektive betont den Vordergrund. Der Mittelgrund wird gestaucht und die Tiefe der Landschaft wird durch die starken Größenunterschiede der Bildelemente symbolisiert.
Panasonic Lumix DMC-G2, 28 mm [@KB], ISO 100, 1:8, 1/1000 Sek., -1 Belichtungswert
Als die Sonne hier über die Wolken am Horizont brach, musste ich die Belichtung um minus einen Wert korrigieren. Dadurch erscheint der Turm unterbelichtet als Silhouette mit nur ganz wenig Zeichnung.
Panasonic Lumix DMC-G2, 84 mm [@KB], ISO 100, 1:8, 1/200 Sek.
Dünner Frühnebel nach der ersten Frostnacht im November. Die aufgehende Sonne wärmt die Szene merklich auf und es entsteht ein pastelliger Warm-Kalt-Kontrast.
Gegenlichtaufnahmen sind handwerklich nicht immer leicht zu bewältigen. In vielen Fällen können Grauverlaufsfilter der Stärke ND 0,6 und / oder ND 0,9 (siehe Tabelle unten) hilfreich sein. Allerdings ist die hellste Stelle im Motiv der Horizont, und der wird sich meistens nicht am oberen oder unteren Bildrand befinden. Hier kann man im Nachbearbeitungsprozess abgedunkelte Flächen wieder aufhellen.
Der Weißabgleich sollte auf Bewölkung oder Schatten eingestellt sein, denn die Automatik versucht, die stimmungsvollen Farben auf kühles Tageslicht zu trimmen. Besser noch ist es, den Weißabgleich für eine RAW-Aufnahme später zu justieren.
Fuji FinePix S6500fd, 240 mm [@KB], ISO 100, 1:11, 1/250 Sek.
Auch Landschaftsdetails lassen sich vor der auf- oder untergehenden Sonne schön in Szene setzen. Ist die Sonne durch Wolken etwas verschleiert, wird sie zwar nicht als sauberer Kreis abgebildet, ist dafür aber nicht so gleißend hell.
Auch während der Dämmerung kann das Licht sehr stimmungsvoll sein. Steht die Sonne über dem Horizont und Nebel oder Wolken sind im Spiel, wird die Lichtstärke der Sonne abgeschwächt und die zur Verfügung stehende Zeit für gut belichtete Fotos steigt deutlich an. Steht die Sonne noch höher am Himmel, bieten sich auch andere Gegenlicht-Motive an. Man muss jedoch den Dynamikumfang beachten. Die Spiegelung der Sonne im Wasser oder hinter lichten Wolken platziert, ist nicht so schwierig zu bewältigen. Mit einer Orange- oder Gelbtonung kann man später am PC die Farbstimmung verbessern.
Panasonic Lumix DMC-G2, 380 mm [@KB], ISO 100, 1:8, 1/200 Sek.
Auch in der Dämmerung sind schöne Bilder möglich. Die faserige Wolkenspur des letzten Lichts des Tages, lässt den Betrachter auf die Sonne schließen. Das Segelboot symbolisert Abenteuer und segelt dem Punkt der Grenzüberschreitung entgegen.
Copyright Fotos und Text: © Kai Kinghorst
Helligkeitscharakteristik
Die Helligkeitscharakteristik bei Sonnenaufgang hängt stark von Jahreszeit, Wetter und Breitengrad ab. Bei wolkenfreiem Himmel lässt sich die Helligkeit sehr gut durch eine Exponentialfunktion abschätzen. Die Beleuchtungsstärke verdoppelt sich dabei alle 5 Minuten und das lässt sich in folgender Formel zusammenfassen:
E = 80 lx x 1,15 t / 1 min
E ist die Beleuchtungsstärke und t die Zeit, wobei t=0 der Zeitpunkt des Sonnenaufgangs ist. Demzufolge werden 10 lx (Lux), das ist etwa die Beleuchtungsstärke der Straßenbeleuchtung, schon ca. 15 Minuten vor Sonnenaufgang erreicht, und die Helligkeit einer durchschnittlichen Bürobeleuchtung (ca. 800 lx) wird etwa 16 Minuten nach Sonnenaufgang überschritten.
Diese Formel ist etwa für einen Zeitraum von einer Stunde vor bis eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang (also t zwischen -60 min und +30 min) für die Breitenlage Deutschlands geeignet. Im Sommer nimmt die Helligkeit schneller, im Winter langsamer zu als angegeben.
Quelle: http://de.wikipedia.org
Neutraldichte für Graufilter
Dichte / Durchlässigkeit / Verlängerungsfaktor / Blendenstufe
ND 0,3 / 50,00 % / 2x / -1
ND 0,6 / 25,00 % / 4x / -2
ND 0,9 / 12,50 % / 8x / -3
ND 1,2 / 6,25 % / 16x / -4
ND 1,5 / 3,12 % / 32x / -5
ND 1,8 / 1,56 % / 64x / -6
ND 2,0 / 1,00 % / 100x / -6,66
ND 3,0 / 0,10 % / 1000x / -10
Sonnenstand Hilfsprogramme
Für PC, Mac, Tablets und Smartphones (leider nur englisch):
http://www.photoephemeris.com/
Websites mit gutem Berechnungsprogramm
http://www.sonnenverlauf.de
http://www.jekophoto.de/tools/daemmerungsrechner-blaue-stunde-goldene-stunde/
Was, bitte, ist an Sonnenauf- und untergängen “kitschig”? Das ist Natur… von ihrer schönsten, ihrer wahrlich überwältigendendsten Seite. Und ich weiß, wovon ich rede… ich wohne am Rande der Alpen.
Ich denke, solcherlei Naturschauspiele haben DIESE Überschrift und DIESE Klassifizierung nicht verdient.
Sehr geehrter Herr Wolff,
Sie haben aus meiner Sicht absolut recht.
Der Begriff Kitsch wird aus Sicht des Betrachters immer als minderwertig angesehen. Die menschliche Wahrnehmung ist im höchsten Maße subjektiv. Und das trifft folglich auch auf die Fotografie zu. Nähert man sich ganz objektiv dem schwierigen Begriff Kitsch, so muss man sich eingestehen, auch wenn man diese Stimmungen besonders herrlich findet, dass er auf dieses Genre zutrifft.
Als Fotografen sollte uns aus dieser Erkenntniss klar werden, dass es mehr bedarf, als einfach nur diese Stimmung abzubilden. Wer es sich schon einmal zur Aufgabe gemacht hat Sonnenauf- oder -untergänge fotografisch einzufangen, der wird wissen, dass es alles andere als einfach ist. Denn genau aus diesem Klischee auszubrechen, bedarf eben des Nachdenkens. Sich nicht von Emotionen zur oberflächlichen Arbeit verleiten lassen, sondern Gefühle einzufangen und dem Betrachter wirksam zu vermitteln, ist eine echte Herausforderung.
Wenn ich also Kitsch in der Überschrift verwende, so ist darin die Absicht zu finden, sich mit dem Begriff und dem Thema eingehender zu befassen. So ein Bild wird allzuschnell übergangen. Sei es im Internetforum, bei der Auswahl für eine Ausstellung oder bei der Jurierung von Wettbewerbsbildern. Eben wegen des Kitschempfindens. Das sollte uns mahnen, doch etwas zu verweilen und nicht zu fragen, wie hätte ich das gemacht. Vielmehr ist die Frage: “Was möchte uns der Autor damit sagen?” der bessere Ansatz. Es steckt oft viel Arbeit in solchen Fotografien. Das fängt mit dem beschwerlichen Weg an, das Motiv zur bestimmten Zeit zu erreichen und geht weiter über die Überlegungen zur Bildgestaltung, bishin zu der handwerklichen Umsetzung. Das kann man nur nachvollziehen, wenn man weiß, was dahinter steckt. Ein weiterer Aspekt ist die eigene innere Balance. Sich die Zeit zum Genießen eines solchen flüchtigen Ereignis zu nehmen, ganz auf sich wirken zu lassen, um daraus Kraft und Glück zu schöpfen.
Sie wissen das und ich weiß das. Und viele andere wissen das auch. Manche aber machen sich nicht die Mühe und wischen diese Gedanken mit dem Klischee-Besen beiseite. Wir sehen, was wir sehen wollen.
Viele Grüße
Kai Kinghorst
Ich schätze Ihre ausführliche und mir ausgesprochen nahe gehende Antwort sehr, lieber Herr Kinghorst – vielen herzlichen Dnak dafür :-).
Die besten Grüße aus Felix Austria.
Thomas Wolff
[…] Zwar sind im Winter die Tageslichtzeiten und die Dauer der blauen Stunde* kürzer, dafür sind Sonnenauf- und – untergänge aber umso imposanter. Ein Vorteil im Winter ist, dass man, um einen Sonnenaufgang erleben zu können, nicht so früh aufstehen muss und der andere Vorteil liegt in der oft klaren Luft. Das führt zu wahren Farbexplosionen am morgendlichen Himmel. Siehe auch d-pixx.de 2014-10 Kitsch? Ja bitte! […]